REDE ZUR AUSSTELLUNG
KREISEL DES LEBENS
GUNDA OELMANN
DIPLOM-RESTAURATORIN
GALERIE LA BOHÈME
BERLIN
PRENZLAUER BERG
01.06.2022 – 01.09.2022
REDE ZUR AUSSTELLUNG
KREISEL DES LEBENS
GUNDA OELMANN
DIPLOM-RESTAURATORIN
GALERIE LA BOHÈME
BERLIN
PRENZLAUER BERG
01.06.2022 – 01.09.2022
Nach vielen Jahren, begegnete ich Heidemarie Wotinek, durch unsere gemeinsame Freundin, Barbara Rüth, wieder. Seitdem telefonieren wir oft und lernen uns kennen. In einem dieser Gespräche fragte sie mich, ob ich zu einer ihrer Ausstellungseröffnung die Rede halten würde. Überrascht sagte ich, liebe Heidemarie, vor etwa 30 Jahren, hast du mir aus der Hand gelesen, und jetzt soll ich dir aus deinen Bildern lesen, das wird keine Kunstbetrachtung, das wird eine Lebens- Betrachtung! Sie antwortete: … nichts anderes erwarte ich von dir! Ich sagte zu.
So habe ich heute, die 800 Jahre alte Linde an meinem Haus verlassen, in die sich Heidemarie, bei ihrem ersten Besuch bei mir verliebte, und bin wunschgemäß, aus der Uckermark angereist. Nun müssen Sie, liebe Anwesende damit zurecht kommen, vielleicht mehr zu hören, als sie sehen und weniger zu sehen, als sie hören. Was ja ganz und gar zeitgemäß ist. Damit bin ich da angekommen, worum sich hier alles dreht … bei der heutigen Ausstellung und dem Titel „Kreisel des Lebens“. Alles bewegt sich im Kreis, wir begegnen uns, wir sehen und hören uns, wir unterhalten, wir werden unterhalten, wir behalten, … und erhalten und so weiter!
Als Restauratorin schaue ich vor allem mit dem zweiten Blick auf Bilder. Das ist, nach dem Erfassen ihrer Schönheit, der konservatorische Blick, auf den Erhaltungs-Zustand, auf Material und Technik und auf die Rückseite. So interessierte ich mich, bei meinem Besuch in Heidemaries kleinem Atelierraum, auch frühere Arbeiten von ihr zu sehen. Jedoch war das nicht möglich. Ältere Arbeiten bewahrt sie nicht auf. Ihr sogenannter Vorlaß, besteht heute, mehr oder weniger, aus Werken der letzten 3 Jahre. Das ist eine relativ kleine und überschaubare Anzahl.
Wie sie mir erklärte, dezimiert sie ihren Werk-Bestand, seit Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn ganz bewusst. Sie sortiert systematisch aus und benutzt die alten Arbeiten als Bildträger für neue. Das heißt, sie übermalt, sowohl ihre alten Leinwände, als auch ihre Papierarbeiten. Und das mindestens 5 bis 6 mal. Oder bis es nicht mehr geht, dann vernichtet sie diese. Das erspart ihr enorme Kosten für Malgründe und Rahmen und die Mietkosten für tote Lagerräume. Die Entschlossenheit und radikale Umgang, hat mich sehr überrascht und zugleich, schwer beeindruckt.
Für Restauratoren ist, unter anderen die Nachlaß-Sorge, ein großes Thema. Der Zwang, kulturelle Werke, unangetastet zu bewahren, ist historisch betrachtet, eher eine neue Erscheinung. Früher übermalten Künstler problemlos ihre Bilder, nicht nur wenn sie keine Leinwand mehr hatten. Heidemarie Woitinek löst auf diese Weise ein Problem für sich und andere.
Damit leistet sie viel Arbeit und übernimmt große Verantwortung für ihr Werk. Das ist mutig und sehr weise. Sortieren und Aussortieren! Keiner kann dies besser, als der Künstler selbst! Sich vom Unwichtigen zu trennen, macht Werte sichtbar! Weniger ist mehr!
Wenn sie heute ein Bild von Heidemarie Woitinek betrachten, schauen sie also auf 5 bis 6, unter- bzw. über- einander liegende. Das verhält sich, wie mit gelöschten oder überschriebenen Dateien. Und der Betrachter sieht, wie im im Leben, nur einen Teil des Vorhandenen. Vielleicht wird sich in 100 Jahren ein Kunstwissenschaftler an einem der Bilder von Heidemarie Woitinek “die Zähne ausbeißen und sich zu Tode wundern“ oder die Menschheit mit Deutungsexzessen quälen. Und ein Restaurator hat seine Freude, oder auch nicht! Je nach dem, wie Heidemarie entscheidet!
Dann sind mir da die vielen Fische aufgefallen! Laut Definition aus einem Kinderbuch: … sind Fische, Tiere die im Wasser leben, sie atmen mit Kiemen und haben eine schuppige Haut, sie kommen auf der ganzen Erde vor. In Flüssen, in Seen und im Meer. In der Aussage fehlt: in der Bibel und auf Bildern, wie bei Heidemarie Woitinek, im Glas, auf Tischen, im Kochtopf, auf der Bank und unterm Messer.
Dies zeigt, mit der Kunst ist es, wie mit dem Leben. Erst recht in einer Zeit, in der das Leben beinahe angehalten wurde! Da bin ich wieder bei dem Titel zu der heutigen Ausstellung “Kreisel des Lebens“, der sehr gut passt, wie ich finde.
Und an dieser Stelle beende ich meine Rede. Sie können aufhören mir zu zu hören und anfangen zu schauen. Und trauen sie nicht dem, was sie sehen, nicht dem was sie hören, nicht heute, nicht hier und nicht wo anders! Seien sie mutig, stellen sie Fragen. Beginnen sie eine Unterhaltung! Erkunden sie das Tieferliegende und trainieren sie ihre Wahrnehmung.
Hier im Raum, mit den jeweils 5 oder 6 mal 22 Bildern, von Heidemarie Woitinek! Denn, wie schon zu Beginn gesagt, bekommen sie mehr zu sehen, als sie hören und mehr zu hören, als sie sehen. Das ist gleichsam ein Verweis auf Heidemarie Woitineks Spiritualität.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und dir liebe Heidemarie, viele Fragen und weiterführende Gespräche zu deinen Bildern und dem Leben und wie immer nach einem Gespräch mit dir, grüße ich die alte Linde von dir.
GUNDA OELMANN